Baltische Baudenkmäler e.V.

Neue Skulptur

Die Terrakottaskulpturen und ihre Restaurierung / Renovierung durch Eve Alttoa

Terrakottaskulptur der Johanniskirche

Die Johanniskirche ist außergewöhnlich wegen ihrer äußerst reichhaltigen Terrakottaskulpturen. Im Mittelalter ist gebrannter Ton als Material für Skulpturen eher ein nebensächliches Thema. Die ältesten überlieferten Terrakottawerke des mittelalterlichen Europas verleihen der Klosterkirche von Pomposa (zweites Viertel des 11. Jahrhunderts) Ausdruck. Weiterhin ist der skulpturierte Dekor des Zisterzienser-Klosters in St. Urbain in der Schweiz bekannt. Darauf folgend wurden der nördliche Teil Deutschlands und die südliche Gegend der Ostsee (Brandenburg, Mecklenburg, Pommern und Preußen) zum wichtigsten Verbreitungsgebiet von Terrakottaskulpturen. Hier pflegten auch die Zisterzienser die Terakottaskulptur. In geringerem Umfang wurde Terrakottadekor auch in Skandinavien und Finnland eingesetzt, wobei sehr viele unterschiedliche Technologien verwendet wurden.

In der Johanniskirche in Dorpat hat es ungefähr zweitausend Terrakottaskulpturen gegeben und damit war sie in ihrem Genre ohne Konkurrenz führend im gesamten mittelalterlichen Europa. Neben der Anzahl der Skulpturen sticht auch ihre Monumentalität ins Auge: Die Kruzifixgruppe mit Figuren in Lebensgröße über dem Triumphbogen war die großzügigste Terrakottakomposition des mittelalterlichen Abendlands. Die Skulpturen der Johanniskirche sind alle individuell modelliert und nicht mit Hilfe von Formen angefertigt worden. Die größeren Figuren sind aus mehreren Blöcken zusammengestellt worden, die in der Regel die Maße von ungefähr 45 x 35 x 30 cm hatten.

Bei der Klärung des Ursprungs des skulpturalen Dekors der Johanniskirche ist die Aufmerksamkeit der Forscher vor allem auf Nordeuropa gerichtet. Es sind aber keine Werke bekannt, die es erlauben würden, von konkreten Vorbildern oder gemeinsamen Meistern zu reden. Im Moment kann man nur eine Ausnahme nennen – eine Kopfskulptur auf dem Südportal der Stadtkirche von Drawsko Pomorskie (deutsch Dramburg in Nordwestpolen). Eine Frage an sich ist jedoch, ob hinter der Ähnlichkeit ein gemeinsamer Meister oder irgendeine Skizze oder ein Notizbuch stehen. Wahrscheinlich ist, dass die Meister, die in der Johanniskirche Dorpats beschäftigt wurden, früher mit einem ganz anderen Material tätig waren – zum Beispiel auf dem Gebiet der Holzskulptur.

Das ikonographische Programm

Die ikonographische Deutung der Bauskulpturen der Johanniskirche wird durch die Tatsache, dass bei den meisten Figuren die traditionellen Attribute fehlen, kompliziert. Stattdessen gab es hier in der Regel Spruchbänder, deren Texte aber unlesbar geworden sind. Sicher identifizierbar ist das Programm des Westportals. Die obere Skulptur – der Christus in der Mandorla stammt jedoch aus der Neuzeit. Weiterhin gibt es dort die kniende Maria und Johannes den Täufer sowie die zwölf Apostel. Also handelt es sich um eine sogenannte Deësis, die das Jüngste Gericht darstellt.

Am großzügigsten war das Mittelschiff gestaltet gewesen, jedoch ist ein Großteil der dortigen Skulpturen zerstört worden. So gab es auf den Säulenkörpern der Pfeiler stehende Figuren – offensichtlich waren darauf die Apostel dargestellt worden. In der skulpturierten Triforiumzone gibt es in jeder Wölbung drei sitzende Figuren, die mittlere von ihnen ist mit einer Krone und einem Zepter ausgestattet. Im Mittelpunkt der Westwand steht Christus als Rechtsprecher. Möglich, dass hier auch der Schlüssel für die Figuren der Längswände liegt: es handelt sich um eine Szene aus der Offenbarung des Johannes, bei der der Thron des Rechtsprechers von den 24 Ältesten umgeben ist. Die vier apokalyptischen Wesen und der Agnus Dei waren aber auf den Schlusssteinen dargestellt worden. Also ist es wahrscheinlich, dass ähnlich zum Hauptportal auch bei den Skulpturen des Mittelschiffs das Hauptthema das Jüngste Gericht war.

Unter den Skulpturen gibt es auch Arbeiten profanen Charakters. Vor allem die als Friesen angelegten Halbfiguren und Köpfe, die verschiedene Stände darstellen. Die Halbfiguren sind mit Textbändern ausgestattet, darum hat man hier offensichtlich auf konkrete Personen hingewiesen. Ob es sich um Donatoren, ein Memorial oder etwas ganz anderes handelte, bleibt zurzeit unklar.