Baltische Baudenkmäler e.V.

Domberg Reval, Gerichtsstraße 6: Ungern-Sternbergsches Palais von M. P. Gropius geplant

Gedenktafel literaerische Gesellschaft / Kulturselbstverwaltung

Die Einweihung der Gedenktafel fand am 11. September 2000 statt unter Teilnahme von zahlreichen Gästen, von denen hier nur noch der Vorsitzende der Deutsch-Baltischen Landsmannschaft, Dr. Heinz-Adolf Treu und der Vorsitzende des Kulturausschusses im estnischen Parlament, Mart Meri zu nennen sind.

Die Estländische Literärische Gesellschaft und die Kulturselbstverwaltung der deutschen Minderheit

Unterschiedliche Ziele, doch ein Motiv: Kultur

Im Jahr 1842 wurde in Reval von Deutschbalten eine Gelehrtengesellschaft gegründet, der im selben Jahr der Pastor und Sprachgelehrte Eduard Ahrens beitrat. Er führte nach finnischem Vorbild eine neue estnische Orthographie ein, die ihm die Ehrenmitgliedschaft der Gelehrten Estnischen Gesellschaft in Dorpat eintrug. Auch Karl Ernst von Baer wurde Mitglied der Literärischen Gesellschaft und noch weitere estnische und deutsch-baltische Wissenschaftler von Rang folgten. Baer als Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Gesellschaften brachte der Ehstländischen Literärischen Gesellschaft (das war die ursprüngliche Schreibweise) Glanz und Bekanntheit ein. Ziel der Gründung dürfte gewesen sein, einen geistigen Mittelpunkt zu bilden, der nicht zurückstand hinter den zahlreichen, meist in Universitätsstädten gebildeten wissenschaftlichen Vereinigungen. Die Aufnahme von indigenen Esten beweist aber auch, dass Wissenschaft alleine überzeugte.

Den Sitz nahm die Gesellschaft im Jahr 1912 im ehedem Ungern-Sternbergschen Palais in der Gerichtstraße 8 auf dem Domberg. Dort wurde im September 2000 eine im Auftrag des Vereins zur Förderung Baltischer Baudenkmäler angefertigte Gedenktafel angebracht und am 11. September unter Teilnahme von Mitgliedern der Estnischen Akademie der Wissenschaften eingeweiht. In der ersten Rede betonte der Präsident der Akademie, Prof. Jüri Engelbrecht, dass die Zusammenarbeit mit deutschbaltischen Organisationen zu den großen Aufgaben der Akademie zähle.

Ein weiterer Redner, der Staatssekretär a.D. Berndt von Staden, hob die Bedeutung des Minderheitengesetzes vom 12. Februar 1925 hervor, das kulturelle Identität und Integration gleichermaßen begründete. Nach dem Freiheitskrieg von 1918 – 1920 gegen russisch-sowjetische Vorherrschaft erkannte Sowjetrussland im Frieden von Tartu vom 2. Februar 1920 Estlands Unabhängigkeit an, womit die am 24. Februar 1918 einseitig erklärte staatliche Unabhängigkeit wirksam wurde. Wie stark sich estnisches Nationalbewusstsein nun gegen die ehedem kulturell und wirtschaftlich herrschende deutschbaltische Bevölkerung wendete, hatte von Staden in seinem Buch Erinnerungen aus der Vorzeit: Eine Jugend im Baltikum 1919–1939 beschrieben und Ähnliches trifft teils in noch stärkerem Ausmaß auf Lettland und Litauen zu. Die in ihrer Heimat verbliebenen Deutschbalten gründeten deshalb Kulturvereine, anfänglich verboten oder nur geduldet, in denen Kultur und Tradition gefördert und wechselseitige Hilfe gegeben wurde. Das Minderheitengesetz Estlands leistete teilweise Abhilfe, indem es die Angehörigen von nationalen Minderheiten berechtigte, sich in ihrer Sprache an die staatlichen Behörden zu wenden und autonome kulturelle Körperschaften zu bilden.

Der Hitler-Stalin-Pakt beendete die Existenz beider Einrichtungen: die Estländisch Literärische Gesellschaft schloß mit dem sowjetischen Einmarsch ab dem 16. Juni 1940. Infolge der drohenden Bolschewisierung des Baltikums verließ der größte Teil der Deutschbalten im Herbst des Jahres 1939 die Heimat, wonach auch die „Kulturselbstverwaltung der deutschen Minderheit“ vom damaligen Präsidenten Dr. Hellmuth Weiss suspendiert wurde.

Sehr empfohlen wird die Lektüre des von Theodor Hasselblatt verfassten Artikels auf S.3 der Baltischen Briefe Nr. 9, September 2000